Mitbestimmungsrechte von Betriebsräten beim Hinweisgeberschutz

Betriebsräte, Personalräte und der Hinweisgeberschutz

Ein Leitfaden zur erfolgreichen Einführung eines Hinweisgebersystems

Seit Ende 2023 sind für Unternehmen und öffentliche Einrichtungen mit mehr als 50 Mitarbeitern Einrichtung und Betrieb eines Hinweisgeberschutzsystems (HWGS) Pflicht. Anliegen des Gesetzgebers ist es, strafrechtlich relevante Missstände und Verstöße in Organisationen ans Licht zu bringen und zugleich die hinweisgebenden Personen vor Sanktionen zu schützen. Das Thema interessiert die Arbeitnehmervertretungen, da es – naheliegend – um Fragen der Ordnung des Betriebes bzw. Abläufe in der Dienststelle geht, wodurch der Anwendungsbereich von Mitbestimmungsrechten eröffnet wird. Aber in welchem Umfang trifft das zu? Und wie lässt sich ein solches System ohne Konflikte mit der Arbeitnehmervertretung einfach und erfolgreich einführen?

Konflikte mit dem Betriebsrat vermeiden

Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) und die Personalvertretungsgesetze von Bund und Ländern (BPersVG; LPersVG) gewähren Mitbestimmungsrechte, wenn es um Fragen der „betrieblichen Ordnung“ (§ 87 I BetrVG) bzw. die „innerdienstlichen, sozialen und persönlichen Angelegenheiten der Beschäftigten in der Dienststelle“ geht (vgl. § 84 BPersVG). Dieser generalklauselähnlich beschriebene Anwendungsbereich ist nach allgemeiner Auffassung generell durch den Betrieb eines Hinweisgeberschutzsystems eröffnet. Das gilt es zu akzeptieren.

Allerdings bleibt die Frage nach dem „Wie“ der Einführung offen. Weder das Gesetz selbst noch die Gesetzesbegründung geben konkrete Hinweise darauf, in welchem Umfang Betriebs- oder Personalräte beteiligt werden müssen. Dies hat zu einer intensiven Diskussion geführt, wie die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats gewahrt werden können.

Konsequenz:

Eine frühzeitige Information der Arbeitnehmervertretung über die geplante – und erforderliche(!) - Einführung ist erforderlich und sinnvoll (vgl. § 80 II BetrVG). Das erfordert noch keine Details vermeidet aber unnötige Konflikte. 

Nach unserer Erfahrung stimmt etwa die Hälfte der vorab informierten Arbeitnehmervertretungen der Entscheidung für ein bestimmtes Hinweisgebersystem ohne Einwände zu. Ein Viertel der legt Wert darauf, in die Vorstellung des Systems einbezogen zu werden, und das verbleibende Viertel stellt spezifische Fragen zur Wahrung der Interessen der Mitarbeitenden.

Gestaltung  und Mitbestimmung

Es bleibt die Frage nach dem „Wie“ der Einführung. Weder das Gesetz selbst noch die Gesetzesbegründung geben konkrete Hinweise darauf, in welchem Umfang Betriebs- oder Personalräte beteiligt werden müssen. Dies hat zu einer intensiven Diskussion geführt, wie die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmervertretungen zu wahren sind.

Die Umsetzung gesetzlicher Vorgaben begründet kein Mitbestimmungsrecht.

Die Erfüllung gesetzlicher Vorgaben begründet allein noch kein Mitbestimmungsrecht. Das ist beim HinSchG nicht anders. Eine Vielzahl von Publikationen weist aber unter Verweis auf § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG darauf hin, dass dies anders sei, wenn der Arbeitgeber mit der Einrichtung einer Meldestelle ein standardisiertes Verfahren verbinde, welches dazu bestimmt sei, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen. So richtig dies im Ergebnis auch sein mag, so überflüssig ist die beschriebene Verbindung. Der Zweck eines Hinweisgebersystems hat mit Leistungskontrolle nichts zu tun. Im Kontext des gesetzlich geforderten Hinweisgeberschutzes erscheint dies geradezu missbräuchlich. In jedem Fall ist Leistungskontrolle vermeidbar – am einfachsten durch das System eines seriösen externen Dienstleisters, das derlei Optionen erst gar nicht vorsieht.

Konsequenz:

Leitungsorgane sollten sich auf die gesetzlichen Anforderungen konzentrieren und diese umsetzen. Die Frage nach der Ausgestaltung oder dem „WIE“ der Umsetzung stellt sich dann nicht. Insoweit bestehen dann auch keine Mitbestimmungsrechte.

Eigenes System versus extern betriebene Lösung

Arbeitgeber können eine interne Meldestelle einrichten oder einen Dritten mit den Aufgaben einer internen Meldestelle betrauen (vgl. § 14 Abs. 1 S. 1 RegE-HinSchG). 

a) 

Entscheidet der Arbeitgeber sich dafür, das Thema mit eigenen Ressourcen anzugehen, muss er entweder auf vorhandene Beschäftigte zurückgreifen oder neues Personal einstellen. In beiden Fällen sind Beteiligungsrechte des Betriebsrats aus § 99 BetrVG zu beachten: Bei Neueinstellungen besteht ein Informations- und Zustimmungsverweigerungsrecht. Der Betriebsrat kann auch die Ausschreibung der Stellenbesetzung § 93 BetrVG verlangen. Soll der Betrieb der Meldestelle einem bereits angestellten Mitarbeiter übertragen werden, handelt es sich regelmäßig um eine mitbestimmungsrechtliche Versetzung (vgl. § 95 Abs. 3 BetrVG). Die Einzelheiten hierzu sind umstritten. Bis zur höchstrichterlichen Klärung der Rechtsfrage sollten Arbeitgeber den Betriebsrat jedenfalls vorsorglich informieren und die Zustimmung nach § 99 Abs. 1 BetrVG einholen.

Werden eigene Mitarbeiter mit dem Hinweisgebersystem betraut, sind umfangreiche Mitbestimmungsrechte zu beachten, vgl. §§ 93 ff. BetrVG 

Erfahrungsgemäß sind die hier beschriebenen Prozesse zeitaufwändig, da die einmal inhaltlich an Bord genommenen Arbeitnehmerorgane an der Realisierung des Systems ein gewisses Interesse zeigen und ihre bestehenden Rechte nutzen wollen, auf die Ausgestaltung des Systems Einfluss zu nehmen, auch wenn dies rechtlich nicht vorgesehen ist.

Hinzu kommt ein weiteres: Wenn Organisationen ein Hinweisgebersystem in Eigenregie betreiben möchten, um das sich dann eigene Mitarbeiter - etwa aus der Rechts- oder Personalabteilung – kümmern, führt dies zu Fragen und Bedenken von Mitarbeitern, die mit dem Hinweisgeberschutzgesetz unmittelbar gar nichts zu tun haben: Es geht um die vom Arbeitgeber ausgewählte Person, die neben ihrem bisherigen Job künftig Hinweise entgegennehmen, diese bewerten und vertrauliche Gespräche führen soll. Mit dem gewonnenen Bild der bekannten Kollegen ist dies oft nur schwer vereinbar. Diese Diskussion ist bei Einsatz eigener Ressourcen unvermeidbar und kann zu unerwünschten Ergebnissen und Verzögerungen führen, weil etwa das Arbeitnehmerorgan den vorgesehenen Kandidaten der Geschäftsleitung ablehnt oder der letztlich eingesetzte und verantwortliche Kandidat das Vertrauen der Mitarbeitenden nicht hat mit der Folge, dass das Hinweisgebersystem zwar in Betrieb ist, aber nicht genutzt wird und leerläuft. Letztlich gilt hier das gleiche wie für rein interne Compliance-Strukturen: Bewährte Funktionsträger, etablierte Mechanismen und Verhaltensweisen, die in jeder gesunden Organisation spezifische Aufgaben erledigen oder dazu beitragen, können nicht on top eine Organisation, deren Teil sie sind, effektiv selber überwachen. Alle Erfahrung zeigt, dass das gewünschte oder gesetzlich geforderte Mehr an Sicherheit und Erkenntnis so nicht erreicht wird. Das selbstbetriebene System erweist sich - gerade mit Blick auf das Ergebnis - als suboptimal 

b) 

In der Sache melden nach unserer Erfahrung die meisten Arbeitnehmer-vertretungen dann keine Bedenken oder weitergehende Ansprüche an, wenn die Wahl auf ein externes System fällt. 

Warum ist dies so? 

Die Geschäftsleitung demonstriert durch die Einbeziehung einer neutralen außenstehenden Stelle die Ernstnahme der Thematik. Der Vorwurf, das Thema loswerden zu wollen und hierfür einen möglichst wenig ausgelasteten Arbeiter zu finden, entfällt. Gleiches gilt für etwaige Bedenken wegen weitergehender Zwecke, die beim Betrieb eines Hinweisgebersystems diskutiert werden - Stichwort Leistungserfassung. Nach unserer Erfahrung bewerten dies auch die Arbeitnehmervertretungen so, sodass nach Information über Fusionsweise des Systems meist unkompliziert eine Zustimmung erfolgt.

Hinweisgeberschutzsystem und Beschwerdestelle nach dem AGG

In einigen Fällen haben Betriebs- und Personalräte Bedenken geäußert, dass ein Hinweisgeberschutzsystem das bestehende Beschwerdewesen nach § 13 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) überflüssig machen könnte. Diese Sorge ist jedoch unbegründet: Das Hinweisgeberschutzsystem stellt eine zusätzliche Möglichkeit dar, Missstände zu melden, ohne die Funktion der AGG-Beschwerdestelle zu beeinträchtigen.

Ein gutes Hinweisgeberschutzsystem integriert das erforderliche Meldeverfahren nach dem AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz)

Mitarbeitende haben somit die Wahl, welches System sie nutzen möchten. Wichtig ist, dass kein Hinweis unter den Tisch fällt, auch wenn er nicht die im Hinweisgeberschutzgesetz definierte Schwelle, etwa die Bußgeldpflichtigkeit eines Sachverhalts, erreicht. Ein gut funktionierendes System wird alle Hinweise erfassen und diese gegebenenfalls an die entsprechenden Stellen im Unternehmen weiterleiten.

Nutzen für Unternehmen: Mehr als nur die Erfüllung gesetzlicher Pflichten

Viele Unternehmen, die ein Hinweisgeberschutzsystem eingeführt haben, berichten von positiven Effekten – unabhängig davon, ob es zu Meldungen von Straftaten kam oder nicht. Verbesserungen bei internen Prozessen, eine gestärkte Unternehmenskultur und in einigen Fällen sogar Reputationsgewinne sind mögliche Vorteile, die über die bloße Erfüllung der gesetzlichen Pflichten hinausgehen.

Ein gut funktionierendes Hinweisgebersystem kann somit einen wertvollen Beitrag zur Unternehmensentwicklung leisten und das Vertrauen der Belegschaft in die Integrität des Unternehmens stärken.

Schlussfolgerung: Ein Hinweisgebersystem als Teil einer positiven Unternehmenskultur

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die erfolgreiche Einführung eines Hinweisgeberschutzsystems nicht nur der Erfüllung gesetzlicher Vorgaben dient, sondern auch eine Chance darstellt, die Unternehmenskultur zu verbessern. Durch eine frühzeitige und transparente Einbindung der Betriebs- und Personalräte können potenzielle Konflikte vermieden und das Vertrauen in das System gestärkt werden.

Unternehmen, die das Hinweisgeberschutzsystem als integralen Bestandteil ihrer Compliance-Strategie und Unternehmenskultur begreifen, können davon langfristig profitieren – und das nicht nur im Hinblick auf die Vermeidung von Bußgeldern, sondern auch in Bezug auf die Stärkung der internen Strukturen und Prozesse.


Dr. Eric Heitzer
Dr. Eric Heitzer
Als Rechtsanwalt und gelernter Bankkaufmann war Dr. Eric Heitzer viele Jahre in der Geschäftsleitung namhafter Telekommunikations- und Medienunternehmen in Frankfurt, Hamburg und Köln für die Bereiche Marktregulierung, Public Policy und Wettbewerbsrecht verantwortlich. 2018 gründete er die Integrity und baut seitdem ein Team auf, welches mit ausgewiesener Expertise und Erfahrung Unternehmen in den Bereichen Compliance & Datenschutz unterstützt.