Compliance in Pflegeeinrichtungen – Mehr  als nur ein Häkchen auf der Checkliste

Compliance in Pflegeeinrichtungen – Mehr  als nur ein Häkchen auf der Checkliste

Compliance beginnt im Alltag – und sichert die Zukunft Ihrer Einrichtung

Fachkräftemangel, steigende Anforderungen der Pflegekassen, immer neue gesetzliche Vorgaben und ein zunehmender Erwartungsdruck seitens Angehöriger und Bewohner. Pflegeeinrichtungen stehen heute vor zahlreichen Herausforderungen. Inmitten all dessen gewinnt ein Thema zunehmend an Bedeutung – Compliance.

Was bedeutet Compliance eigentlich?

Compliance bedeutet übersetzt „Einhaltung“ – gemeint ist die Einhaltung aller relevanten Normen. Normen sind sowohl die für alle geltenden rechtlichen Regelungen, etwa Gesetze und Verordnungen wie auch die internen Regelungen einer Organisation, etwa eine Unternehmensrichtlinie zum mobilen Arbeiten. Hinzu kommen gesellschaftlich anerkannte ethische und moralische Standards. 

In Pflegeeinrichtungen sind neben einer Vielzahl rechtlicher Anforderungen fast immer auch interne Verhaltensregeln sowie Qualitätsstandards von großer Bedeutung. Wird all dies gesehen und gelebt, sind Einrichtung und Mitarbeiter compliant.

Was ist ein Compliance-Management-System?

Die Beachtung geltender Regeln sollte selbstverständlich sein. Am Beispiel Autofahren lässt sich dies gut zeigen: Wer die Straßenverkehrsregeln nicht kennt, darf hier erst gar nicht mitmachen, weil er oder sie keinen Führerschein bekommt. Wer die Regeln ignoriert und etwa konsequent über rote Ampeln fährt, verliert die Fahrerlaubnis. All dies funktioniert ohne ein besonderes Management-System. Die Gesellschaft erwartet hier die Kenntnis der Regeln von jedem der mitmacht. 

In Pflegeeinrichtungen gilt letztlich nichts anderes - mit einem kleinen aber wichtigen Unterschied: die Vielzahl vorhandener Regelungen ist von den Mitarbeitern nicht zu bewältigen. Und es gibt nicht nur wichtige, sondern leider auch ziemlich überflüssige Regelungen. Dies gilt insbesondere für das von mancher Einrichtung etablierte „Richtlinienwesen“, in dem Ärzte und Pflegekräfte sich oft eher verlieren, als dass sie dort Orientierung finden.

In diesem Umfeld gilt es für die Einrichtung, den Überblick zu bewahren und Orientierung zu vermitteln. Genau dies leistet das Compliance-Management-System, indem es Risiken analysiert, Wichtiges und weniger Wichtiges separiert, so dass Compliance auf die wichtigen Regelungen fokussiert werden kann

Diese Fokussierung – strukturell durch das Compliance-Office abgesichert - stellt die Regelkonformität in systematischer Weise sicher. Wichtige Regelungen werden den Mitarbeitenden vermittelt, typischerweise durch Schulungsmaßnahmen erläutert und die Kenntnis durch Abfragen kontrolliert. Das Ergebnis findet sich in einem Bericht, mit dem die Einrichtung gegenüber ihren Gesellschaftern aber auch in der Öffentlichkeit zeigen kann, dass Compliance für sie kein Fremdwort ist – zu ihrem eigenen Schutz aber auch zum Wohle der Patienten.

Warum ist Compliance in der Pflege so wichtig?

Pflegeeinrichtungen tragen eine enorme Verantwortung – für das Wohl von Menschen, die oft besonders schutzbedürftig sind. Compliance schafft Strukturen, um diese Verantwortung verlässlich wahrzunehmen.

  1. Rechtliche Sicherheit: Pflegeeinrichtungen unterliegen zahlreichen Gesetzen: SGB XI, SGB V, dem Infektionsschutzgesetz, Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), dem Pflegeberufegesetz – um nur einige zu nennen. Verstöße können Bußgelder, Reputationsschäden und im schlimmsten Fall den Entzug der Betriebserlaubnis zur Folge haben.
  2. Transparenz und Vertrauen: Compliance fördert eine offene Unternehmenskultur, in der Fehlverhalten angesprochen und Prozesse transparent gestaltet werden. Das stärkt das Vertrauen – intern wie extern.
  3. Qualität und Ethik: Gute Pflege heißt auch: ethisch handeln. Compliance unterstützt Einrichtungen dabei, moralische Dilemmata besser zu reflektieren und ethisch vertretbare Entscheidungen zu treffen – z. B. beim Umgang mit Demenz, freiheitsentziehenden Maßnahmen oder dem Thema Sterbebegleitung.

Was gehört zu einem effektiven Compliance-Management?

Ein wirksames Compliance-System in einer Pflegeeinrichtung besteht typischerweise aus folgenden Bausteinen:

  • Verhaltenskodex: Eine klare Richtlinie für alle Mitarbeitenden zu ethischem Verhalten, Umgang mit Bewohnern, Geschenken, Interessenkonflikten etc.
  • Schulungen und Sensibilisierung: Regelmäßige Trainings für Führungskräfte und Mitarbeitende – praxisnah und verständlich.
  • Risikomanagement: Erkennung und Bewertung von Risiken (z. B. bei Medikamentenvergabe, Abrechnung oder Datenschutz).
  • Hinweisgebersystem: Ein sicherer Kanal für Mitarbeitende, um Missstände – ggf. auch anonym - melden zu können.
  • Dokumentation und Kontrolle: Nachvollziehbare Prozesse, Audits und regelmäßige Überprüfung der Wirksamkeit.

Compliance leben – nicht nur dokumentieren

Richtlinien oder Compliance-Handbuch allein reichen nicht. Entscheidend ist, dass Compliance gelebt wird – insbesondere von der Führungsebene. Pflegekräfte brauchen Orientierung und Rückhalt, um im hektischen Alltag nicht in Grauzonen abzurutschen.

Führungskräfte sind Vorbilder: Sie müssen zeigen, dass ethisches Verhalten, Transparenz und Regelkonformität keine Bürokratie sind, sondern Teil einer professionellen Pflegekultur.

Spezifische Compliance-Inhalte in der Pflege

Compliance in Pflegeeinrichtungen ist kein abstraktes Konzept, sondern hat sehr konkrete Anwendungsfelder im Alltag. Einige Themen gewinnen dabei besonders an Relevanz – weil sie häufig vorkommen, rechtlich besonders sensibel sind oder neue technologische Entwicklungen betreffen. Drei zentrale Bereiche sind dabei:

1. Datenschutz beim Umgang mit Bewohnerdaten

Pflegeeinrichtungen verarbeiten eine Vielzahl hochsensibler personenbezogener DatenGesundheitsinformationen, biografische Angaben, psychologische Einschätzungen, rechtliche Betreuungsverhältnisse, Medikamentenpläne und mehr. Der Schutz dieser Daten ist nicht nur gesetzlich vorgeschrieben, sondern auch eine Frage der Achtung der Menschenwürde.

Relevante Anforderungen:

  • Art. 9 DSGVO verlangt besondere Schutzmaßnahmen für Gesundheitsdaten.
  • Vertraulichkeit, Integrität und Verfügbarkeit müssen technisch und organisatorisch sichergestellt sein.
  • Zugriffsrechte dürfen nur gezielt und nach dem Need-to-know-Prinzip vergeben werden.
  • Einwilligungen müssen korrekt dokumentiert werden – z. B. für Fotoverwendung oder Datenaustausch mit Ärzten.

Typische Compliance-Fragen:

  • Darf der Hausarzt Informationen aus der Pflegeakte erhalten?
  • Wie lange dürfen Pflegedokumentationen aufbewahrt werden?
  • Wie wird sichergestellt, dass Reinigungspersonal keinen Zugang zu vertraulichen Daten hat?

Best Practices:

  • Schulungen zur DSGVO für alle Mitarbeitenden
  • Technische Zugriffsbeschränkungen in der Pflegesoftware
  • Datenschutzrichtlinien, die auch externe Dienstleister einbeziehen
  • Klare Prozesse für Informationsweitergabe an Angehörige und Betreuer

2. Informations- und Mitbestimmungsrechte von Angehörigen

Angehörige spielen in der Pflege oft eine zentrale Rolle – sei es als rechtliche Betreuer, Bevollmächtigte oder als emotionale Bezugspersonen. Zugleich ist der Umgang mit ihnen nicht immer einfach: Sie wollen informiert sein, mitentscheiden, Einfluss nehmen. Compliance hilft dabei, klare Regeln und transparente Prozesse zu etablieren.

Relevante Fragestellungen:

  • Wer hat Anspruch auf Informationen – und in welchem Umfang?
  • Wie wird mit Konflikten zwischen Bewohnerwillen und Angehörigenwünschen umgegangen?
  • Welche rechtlichen Vertretungsformen gelten (Vorsorgevollmacht, gesetzliche Betreuung etc.)?

Wichtige Grundsätze:

  • Der Wille des Bewohners steht im Mittelpunkt – auch bei eingeschränkter Einwilligungsfähigkeit.
  • Informationen dürfen nur mit Rechtsgrundlage oder Einwilligung weitergegeben werden.
  • Dokumentierte Absprachen mit Angehörigen vermeiden Missverständnisse und rechtliche Unsicherheiten.

Praxisbeispiele:

  • Ein Angehöriger fordert Einsicht in die Pflegedokumentation – liegt eine Vollmacht vor?
  • Die Tochter eines Bewohners möchte Videoüberwachung im Zimmer installieren – ist das zulässig?
  • Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen mehreren Angehörigen – wer hat das Entscheidungsrecht?

3. Einsatz von KI – z. B. bei der Sturzprävention

Der technologische Fortschritt macht auch vor der Pflege nicht halt. Immer mehr Einrichtungen testen oder nutzen KI-gestützte Systeme – etwa zur Sturzprävention, Pflegebedarfsanalyse oder Sprachsteuerung in der Dokumentation. Doch mit den Chancen kommen auch neue Compliance-Anforderungen.

Risiken und Chancen:

  • KI-Systeme können durch Mustererkennung kritische Situationen frühzeitig erkennen – z. B. Veränderungen im Bewegungsverhalten.
  • Gleichzeitig besteht die Gefahr von Fehlinterpretationen, Diskriminierung oder fehlender Transparenz bei der Entscheidungsfindung (Stichwort „Black Box“).

Rechtliche Rahmenbedingungen:

  • DSGVO (z. B. Art. 22 – automatisierte Entscheidungen)
  • MDR (Medizinprodukte-Verordnung), wenn Systeme als Medizinprodukte gelten
  • Die KI-Verordnung definiert weitere Anforderungen (u.a.. Risikoklassen, Transparenzpflichten, menschliche Kontrollinstanzen)

Konkrete Compliance-Fragen:

  • Wie werden die Bewohner über den KI-Einsatz informiert?
  • Gibt es eine Datenschutz-Folgenabschätzung für das KI-System?
  • Wer haftet im Fall eines durch die KI übersehenen Sturzes?

Empfehlungen:

  • KI nur als Unterstützung – nie als Ersatz für menschliche Entscheidungen
  • Transparente Kommunikation mit Bewohnern und Angehörigen
  • Schulung der Mitarbeitenden im sicheren und reflektierten Umgang mit KI-Systemen

Fazit

Compliance ist kein Selbstzweck. Richtig umgesetzt, schützt sie nicht nur die Einrichtung – sie verbessert die Pflegequalität, stärkt das Miteinander und schafft Vertrauen. Für Pflegeeinrichtungen bedeutet das: Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, Compliance ganzheitlich anzugehen – als Teil der Unternehmenskultur, nicht nur als Pflichtaufgabe.

Wer in seine Mitarbeitenden investiert, klare Regeln etabliert und auf Transparenz setzt, gewinnt nicht nur Sicherheit – sondern auch Respekt und Vertrauen in einer Branche, die wie kaum eine andere auf Menschlichkeit und Verantwortung baut.

 


Dr. Eric Heitzer
Dr. Eric Heitzer
Als Rechtsanwalt und gelernter Bankkaufmann war Dr. Eric Heitzer viele Jahre in der Geschäftsleitung namhafter Telekommunikations- und Medienunternehmen in Frankfurt, Hamburg und Köln für die Bereiche Marktregulierung, Public Policy und Wettbewerbsrecht verantwortlich. 2018 gründete er die Integrity und baut seitdem ein Team auf, welches mit ausgewiesener Expertise und Erfahrung Unternehmen in den Bereichen Compliance & Datenschutz unterstützt.